Ich bin dagegen

Friederike sammelt Aufkleber auf dem Badezimmerschrank und ab und an bilde ich mich mit diesen Aufklebern weiter. Denn Aufkleber sind ähnlich wie die jeweils neue Rechtschreibung: Das Volk, also wir, müssen lange genug etwas halt so schreiben, wie wir es schreiben, ob anders oder gar falsch - dann ziehen DUDEN und die Kultusministerkonferenz nach. Und beschließen als richtig und Recht, was die Mehrheit des Volkes findet. Aufkleber-Texte ebenfalls dadurch machen Karriere, daß sie oft genug mündlich geäußert sein müssen. Dann werden sie Aufkleber. Und kleben überall. Z.B. an Friederikes Badezimmerschrank: Castor raus! Ein Herz für Kinder! Jesus ruft Dich! da klebt dann nicht nur auf Aufklebern, sondern bei genügender Lektüre auch in den Seelen der Lesenden. - Neuerdings jedoch fällt mir in der Welt der Aufkleber und damit in des Volkes Stimme eine wesentliche Änderung auf: Man ist nicht mehr für etwas, (Kinder, Coca, Jesus, Nivea) sondern man ist gegen etwas. Gegen den Bau einer gewissen Umgehungsstraß, gegen Drogen, gegen Trans- rapid, gegen Scientology. Auch gut bzw. normal, dasselbe Medium auch gegen etwas einzusetzen. Aber der neueste Aufkleber auf Friedrikes Badezimmerschrank macht mich besorgt. Da steht: „Ich bin gegen Ausländerhass!“ Gegen Ausländerhass. . .? Offenbar sind wir als kritische Gesellschaft so weit, daß wir sogar positive Gefühle negativ formulieren. Demnächst klingt die Höchststufe leidenschaftlicher Liebeserklärung („Ich liebe Dich!"), die wir dem anderen ins Ohr flüstern, so: „Ich bin dagegen, daß Du nicht von mir geliebt wirst!" Und die Nachfolgegeneration des Aufklebers „Ein Herz für Kinder" liest sich so: „Krieg denen, die keine Kinder lieben..." Die Verneinung, Negation beweist leider meist, womit unsere Wahrnehmung hauptsächlich beschäftigt ist. Mit dem Gegen etwas-Sein. Wir werden eben auf neurotische Weise reifer, indem wir eben immer mehr Kritikfähigkeit beweisen: Wir sind ausschließlich gegen etwas. Grundsätzliche Gegner. Ich bin dagegen.

05. November 1996